Achtelbalken im 6/2-, 9/2-, 12/2-Takt

Begonnen von ingmar, Dienstag, 3. Oktober 2017, 08:44

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ingmar

Guten Tag,

folgendes Schnipsel erzeugt korrekte Achtelbalken - es werden immer vier Achtel zusammengefasst:

\version "2.19.64"
{
\time 4/2
\repeat unfold 32 { c'8 } 
}


Dasselbe gilt, wenn ich die Taktart ändere in 2/2, 3/2, 5/2, 7/2 oder 8/2.

Ändere ich hingegen die Taktart in 6/2, 9/2 oder 12/2, dann werden jeweils zwölf Achtel unter einen Balken zusammengefasst! Ähnlich auch bei Ganzen als Zählzeit, und ähnlich auch in früheren LilyPond-Versionen.

Nach meinem Verständnis müssten auch in diese Taktarten immer vier zusammengefasst werden. Riecht für mich nach einem Bug... Was sagt ihr?

—ingmar

Malte

#1
Da sollte man mal die Fachliteratur (Gould o. ä.) befragen. Ansonsten kannst du mal in scm/time-signature-settings.scm schauen, dort sind ab Zeile 68 die Einstellungen für beamExceptions untergebracht. Du wirst feststellen, daß für 6/4, 9/4 und 12/4 solche existieren, nicht aber für die entsprechenden Taktarten mit Halben im Nenner (genauer gesagt gibts nur für 2/2, 3/2 und 4/2 was). Das hat vermutlich den ganz einfachen Grund, daß niemand auf die Idee gekommen ist, es könnte ,,größere" Taktarten geben. Und ehrlich gesagt hab ich solche auch noch nie gesehen. Wär auch merkwürdig, denn ein Schlag wär da ja länger als eine ganze Note. Deshalb mal noch interessehalber die Frage, wo du sowas gefunden hast?

ingmar

Hallo Malte,

Danke fürs Interesse.
  • > Wär auch merkwürdig, denn ein Schlag wär da ja länger als eine ganze Note. Deshalb mal noch interessehalber die Frage, wo du sowas gefunden hast?
Jede Art von früher Musik bis weit ins 17. Jahrhundert hinein. Von den Komponisten wurde der Takststrich mehr als Orientierungsmerkmal verwendet; Einzelstimmen sind meist ohne jeden Takstriche. Aber in heutigen Ausgaben braucht man diese, zumindest als Orientierungsmerkmal bei Proben. Da die Zählzeit Halbe sind, werden fast alle Werke heute in 4/2-Takten notiert; bei Bedarf wird immer mal ein 6/2-Takt eingeschoben. Als Ganztaktnote fungiert dann die Brevis, im 6/2 die punktierte Brevis (Lilypond: c\breve).

Beispiel: Orlando di Lasso.

In Ausgaben noch früherer Musik wird meist die Ganze als Zählzeit verwendet. In den Fifties hat man bei modernen Ausgaben noch das Tempo verdoppelt oder vervierfacht, ist inzwischen aber weitergehen davon abgekommen, da es das originale Notenbild doch zu sehr verändert. Beziehungsweise, es wird verdoppelt und führt dann immer noch zum beschriebenen Notenbild. In der gesamten "Alten Musik" ist das also bei weitem nicht so esoterisch, wie du vermutest.

Gould beschäftigt sich nicht damit; Standardwerk ist Willi Apel.
  • > Das hat vermutlich den ganz einfachen Grund, daß niemand auf die Idee gekommen ist, es könnte ,,größere" Taktarten geben.
Ja, eben das vermute ich ja auch.

Gruß,
--ingmar

Malte

Zitat von: ingmar am Dienstag,  3. Oktober 2017, 13:09
Hallo Malte,

Danke fürs Interesse.
  • > Wär auch merkwürdig, denn ein Schlag wär da ja länger als eine ganze Note. Deshalb mal noch interessehalber die Frage, wo du sowas gefunden hast?
Jede Art von früher Musik bis weit ins 17. Jahrhundert hinein. Von den Komponisten wurde der Takststrich mehr als Orientierungsmerkmal verwendet; Einzelstimmen sind meist ohne jeden Takstriche. Aber in heutigen Ausgaben braucht man diese, zumindest als Orientierungsmerkmal bei Proben. Da die Zählzeit Halbe sind, werden fast alle Werke heute in 4/2-Takten notiert; bei Bedarf wird immer mal ein 6/2-Takt eingeschoben. Als Ganztaktnote fungiert dann die Brevis, im 6/2 die punktierte Brevis (Lilypond: c\breve).

Beispiel: Orlando di Lasso.
Ich bin etwas verwirrt: Dein Beispiel enthält keinen einzigen 6/2-,,Takt" auf 22 Seiten. Daß die ,,Zählzeit" Halbe sind, würd ich so nicht unterschreiben, und auch, daß 6/2-Takte eingeschoben werden (müssen). Wenn mich nicht alles täuscht, ist es doch so, daß eine Mensur (,,Takt") in diesem Fall aus zwei Tactus (,,Zählzeiten") besteht, die jeweils eine Semibrevis (Ganze Note) lang und vor allem gleichberechtigt sind. Es ist also die 3 (oder 2, je nachdem, ob man in Halben oder Ganzen zählt) nicht der 1 untergeordnet wie heutzutage.

Aber selbst wenn man auf einem 6/2-Takt besteht, wär der ja nicht zweiteilig (3+3) wie ein klassischer 6/4- oder 6/8-Takt, sondern dreiteilig (2+2+2). Der Tactus bleibt ja eine Semibrevis und wird nicht zur punktierten Semibrevis (wie schon von mir vermutet). Eigentlich sollte eher ein 3/1-Takt notiert werden; daß LilyPond da nicht so balkt wie erwartet, ist nur logisch, find ich.
Zitat
In Ausgaben noch früherer Musik wird meist die Ganze als Zählzeit verwendet. In den Fifties hat man bei modernen Ausgaben noch das Tempo verdoppelt oder vervierfacht, ist inzwischen aber weitergehen davon abgekommen, da es das originale Notenbild doch zu sehr verändert. Beziehungsweise, es wird verdoppelt und führt dann immer noch zum beschriebenen Notenbild. In der gesamten "Alten Musik" ist das also bei weitem nicht so esoterisch, wie du vermutest.
Esoterisch? Wie kommst du darauf und was genau meinst du damit?
Zitat
Gould beschäftigt sich nicht damit; Standardwerk ist Willi Apel.
  • > Das hat vermutlich den ganz einfachen Grund, daß niemand auf die Idee gekommen ist, es könnte ,,größere" Taktarten geben.
Ja, eben das vermute ich ja auch.
Ich würde sagen: Die moderne Notation ist erst einmal dazu da, Musik ab dem Barock darzustellen, entsprechend sollte sich LilyPond also an deren Anforderungen halten und deshalb einen 6/2-Takt, falls überhaupt, als (3+3)/2-Takt interpretieren. Ich vermute allerdings, daß erst im 20. Jahrhundert überhaupt wieder solche Taktarten verwendet werden, z. B. bei Orff, Bartók, Pärt o. ä.; vorher nur 6/4, 6/8 oder (selten, aber z. B. bei Bach) 6/16. Und bei diesen Komponisten ist so eine Unterteilung nicht unbedingt immer gegeben, es können auch sechs gleichwertige Noten sein. Für dein Anliegen würde ich also selbst beamExceptions setzen und vorher überlegen, ob ein 6/2-Takt wirklich gerechtfertigt ist, oder man nicht bei Allabreve (4/2) bleibt.

Edit: Kleiner fun fact: Balken finden sich im Original sowieso überhaupt nicht, die gibts noch nicht so lang ;) Was natürlich nicht bedeutet, daß man beim Übertragen in moderne Notation nicht davon Gebrauch machen sollte.

ingmar

uppps.. da sind mir offenbar ein paar Dinge etwas durcheinandergegangen.

Offenbar hatte ich dich missverstanden: Du schreibst, "...denn ein Schlag wär da ja länger als eine ganze Note", und das wäre in der Tat aus heutiger Sicht etwas skurril. Ich hatte da wohl "ein Takt" gelesen statt "ein Schlag". Sorry!

Und in einem anderen Punkt hast du natürlich auch vollkommen recht - ich brauche da nicht 6/2-, sondern 3/1-Takte. Allerdings hängt LilyPond in einem 3/1-Takt auch acht Achtel an einen Balken... Und das wird hier eben doch etwas unübersichtlich.

Wie du ebenfalls richtig feststellst, sind in diesem Kontext "1" und "3" gleichberechtigt, aber eben darum will ich sie in moderner Notation nicht als solche notieren, ich möchte da schon zumindest die Schlussnote auf der "1" haben, manchmal auch für Binnenkadenzen. Es fühlt sich für mich einfach falsch an, wenn Kadenzen auf der "3" enden. Besonders natürlich am Schluss. Natürlich könnte man 2/4-Takte einschieben, aber eben das wirkt auf mich wie eine auffällige "Reparaturstelle", was sie ja nun nicht ist. Es wird nichts repariert.

Zurück zu LilyPond: Ich kann jetzt nicht mehr sagen, dass das Programm in 6/4-Takten falsche Achtelbalkung vornimmt; sie war nur für mich etwas unerwartet.

Nochmal danke für Deinen Einsatz!

--ingmar

Malte

#5
Zitat von: ingmar am Donnerstag,  5. Oktober 2017, 08:14
Offenbar hatte ich dich missverstanden: Du schreibst, "...denn ein Schlag wär da ja länger als eine ganze Note", und das wäre in der Tat aus heutiger Sicht etwas skurril. Ich hatte da wohl "ein Takt" gelesen statt "ein Schlag". Sorry!
Kein Problem, hatte mir sowas schon fast gedacht ;)
Zitat
Und in einem anderen Punkt hast du natürlich auch vollkommen recht - ich brauche da nicht 6/2-, sondern 3/1-Takte. Allerdings hängt LilyPond in einem 3/1-Takt auch acht Achtel an einen Balken... Und das wird hier eben doch etwas unübersichtlich.
Da muß ich dir recht geben. Hier könnte man jetzt mit beamExceptions arbeiten oder aber einfach baseMoment auf #(ly:make-moment 1/2) setzen. Das muß allerdings leider nach jedem Taktwechsel passieren.
Zitat
Natürlich könnte man 2/4-Takte einschieben, aber eben das wirkt auf mich wie eine auffällige "Reparaturstelle", was sie ja nun nicht ist. Es wird nichts repariert.
Für mich wirkt die 6/2-Alternative auch nicht weniger ,,reparaturartig" und ich kann mir vorstellen, daß man da beim Blattlesen ebenso drüber stolpert wie über einen 2/2-Takt. Ich habe vor nem Jahr mal aus einer Partitur gesungen, die dauernd 4/2, 6/2 und 2/2 abgewechselt hat, das war furchtbar. Übrigens: meinst du wirklich 2/4-Takt? Das ginge auf gar keinen Fall, weil so schwere und leichte Zeiten vertauscht werden. Ich tippe hier aber darauf, daß das ein Versehen war und du 2/2 meintest.
Zitat
Es fühlt sich für mich einfach falsch an, wenn Kadenzen auf der "3" enden.
Da wäre mein ernst gemeinter Rat: Deal with it. Und weniger flapsig: Ich glaube, daß man sich bei alter Musik auf so vieles einlassen muß, daß auch das hier möglich ist. Man muß eben wegkommen von der klassischen Ansicht ,,1>3". Tatsächlich ist noch im späten Barock diese Hierarchie nicht (oder nicht immer?) gegeben, bei Bach sieht man das häufiger. Und Schlußtöne auf 3 gibts auch in der Romantik noch, vor allem in langsameren Tempi.
Zitat
Nochmal danke für Deinen Einsatz!
So, um jetzt nochmal zurück zum Thema, nämlich der Balkensetzung, zu kommen: Ich kann mich nicht erinnern, jemals mehr als fünf aufeinanderfolgende Achtel gesehen zu haben, habe aber mal eben was komponiert* und verschiedene Möglichkeiten, das in moderne Notation mit oder ohne 3/1-Takte zu übertragen, angewandt. Vielleicht ist ja was für dich dabei?\version "2.19.65"
\language "deutsch"

music = \relative {
  \time 4/2
  \set Staff.timeSignatureFraction = 2/2
  d'\breve
  a'1 b1.
  a4 g f2 g
  a d,8 e f g
  a4. g8 e4. f8 g4. f8 d e f g
  a h c a d2.
  cis8 h cis2
  d1 r2 a1
  a2 f d e1
  d\breve
  \bar "|."
}

timeSigChanges = {
  s\breve*4
  \omit TimeSignature
  \time 3/1 s\breve.
  \time 4/2 s\breve
  \time 3/1 s\breve.
  \time 4/2 s\breve
}

\layout {
  \context {
    \Staff
    \override NoteHead.style = #'baroque
  }
}

\markup "Beispiel-,,Original""
\new MensuralStaff \with {
  \omit Accidental
  \clef "mensural-c1"
} \music

\markup "übliche Übertragung in moderne Notation (1)"
\new Score \with {
  defaultBarType = "'"
  suggestAccidentals = ##t
} \music

\markup "übliche Übertragung in moderne Notation (2)"
\new Voice \with {
  \remove Note_heads_engraver
  \consists Completion_heads_engraver
} \music

\markup "dein Wunschergebnis bis auf Balkensetzung?"
\new Voice \with {
  \remove Note_heads_engraver
  \consists Completion_heads_engraver
} << \music \timeSigChanges >>

\markup "dein Wunschergebnis?"
\new Voice \with {
  \remove Note_heads_engraver
  \consists Completion_heads_engraver
} << \music \timeSigChanges { s\breve*4 \set Score.baseMoment = #(ly:make-moment 1/2) } >>

*Etwaige Satzfehler (bin mir z. B. nicht sicher, ob ich einfach so vom a' in den ersten Achtellauf runterspringen darf) bitte ich zu entschuldigen, ich fang jetzt erst an mit dem Theorie-Studium ;)