\break in übergehaltener Note?

Begonnen von ingmar, Dienstag, 7. Juli 2020, 20:01

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ingmar

Hallo Freunde... : - )


hier ein Stück Musik, in dem per \break ein Zeilenwechsel (nach Takt 23) erzwungen werden soll.

Im oberen Beispiel klappt das problemlos, im zweiten verhindert die hinzugefügte zweite Stimme diesen Wechsel.

Frage: Wie kann ich erreichen, dass
* entweder der Zeilenwechsel gnadenlos (trotz der zweiten Stimme) durchgeführt wird
* oder die punktierte Note der zweiten Stimme an dieser Stelle (Takt 23) automatisch in zwei Noten zerlegt wird, mit dem zugehörigen Bindebogen?


Danke!
--ingmar

\version "2.20.0"

music-a = \relative { \repeat unfold 10 { c'1 d e f } }
music-b = \relative { \repeat unfold 11 { c''2. bes a g f }}

\score {
\new Staff { <<
\music-a
{ s1 *23 \break }
>> }
}

\score { \new StaffGroup <<
\new Staff { <<
\music-a
{ s1 *23 \break }
>> }
\new Staff {
\music-b
}
>> }

Malte

\remove Forbild_line_break_engraver könnte helfen. Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, seine Wirkung nur vorübergehend aufzuheben ...

Arnold

Hmmm, ingmar

unter »rübergehalten« verstehe ich etwas mit Haltebogen (tie), aber, wie Du schon geschrieben hast, ist diese Note quasi »vom Taktstrich durchkreuzt« und damit wird der Taktstrich erst einmal »nicht umbrechbar«.

Gibt es da nicht den »completion_engraver« um die (alle) Noten am Taktstrich automatisch zu teilen (solange sie nicht in Triolen stecken ...)?

Andererseits, in Renaissance-Musik-Noten findet man diese ungeteilten Noten, die über den Quasi-Taktstrich (nicht mehr im Staff, sondern nur noch zwischen den Notenzeilen notierte Taktstriche) gehen. Wie man da Zeilenumbrüche automatisch ermöglicht, weiß ich auch noch nicht. Manueller Workaround wäre da eine entsprechend skalierte Note (bis zum Taktende) gefolgt von einem Skip für den Rest der Note im nächsten Takt.

Arnold

ingmar

#3
Ja, sowas tritt vor allem in Renaissancemusik auf. Und da ist die Notation auch vollkommen angemessen – einen Taktstrich im heutigen Sinne gibt es eigentlich gar nicht. Aber heute erleichtert er das Proben und das Zusammenspiel, man will ungern drauf verzichten.

Spontan denkt man natürlich, schreiben wir doch alles ohne Taktstriche und ziehen die anschließend nach. Aber natürlich braucht auch ein Taktstrich horizontalen Platz mit seinem Weißraum, links und rechts. So einfach ist die Sache also nicht!

Was mir am Anfang gar nicht klar war: Lilypond will sowieso nie einen Zeilenumbruch vornehmen, wenn eine gehaltene Note dadurch geteilt würde. Es ist also ein viel allgemeineres Problem, das ich da habe. Beispiel:

\version "2.20.0"

music-c = \relative {
bes2
\repeat unfold 10 { c1 d e f } }

\score {
\new Staff { <<
\music-c
{ s1 *23  }
>> }
}


BTW: Die bekannte Notation mit kurzen Taktstrichen, nur zwischen den Systemen, war mal Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die Fifties Mode; das ist allerdings komplett ahistorisch und wird heute ernsthaft nicht mehr gemacht.


Gruß, Danke,
--ingmar

harm6

Hallo  ingmar,

hier eine Idee:
Verwende Completion_heads_engraver und Completion_rest_engraver, setze completionUnit auf einen unmöglich hohen Wert.
Bei einem break dann auf die Taktlänge:


\version "2.20.0"

music-c = \relative {
  bes2
  \repeat unfold 10 { c1 d e f }
}

\score {
  \new Staff <<
    \music-c
    {
     \set Staff.completionUnit = #(ly:make-moment 4)
      s1*7
      \set Staff.completionUnit = #(ly:make-moment 1)
      s1
      \break
      \set Staff.completionUnit = #(ly:make-moment 4)
      s1*7
      \set Staff.completionUnit = #(ly:make-moment 1)
      s1
      \break
      \set Staff.completionUnit = #(ly:make-moment 4)
      s1*7
      \set Staff.completionUnit = #(ly:make-moment 1)
      s1
      \break
      \set Staff.completionUnit = #(ly:make-moment 4)
      s1*7
      \set Staff.completionUnit = #(ly:make-moment 1)
      s1
      \break
      \set Staff.completionUnit = #(ly:make-moment 4)
    }
  >>
  \layout {
    \context {
      \Voice
      \remove "Note_heads_engraver"
      \consists "Completion_heads_engraver"
      \remove "Rest_engraver"
      \consists "Completion_rest_engraver"
    }
  }
}



Automatisch ist da nichts, auch muß completionUnit einen Takt vorher verändert werden...
Wie gesagt eine Idee, eher ein proof-of-concept.
Vielleicht kann man das ja ausarbeiten, ich hab heue allerdings keine Zeit es zu versuchen.


Gruß,
  Harm

Malte

Zitat von: ingmar am Mittwoch,  8. Juli 2020, 09:38
BTW: Die bekannte Notation mit kurzen Taktstrichen, nur zwischen den Systemen, war mal Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die Fifties Mode; das ist allerdings komplett ahistorisch und wird heute ernsthaft nicht mehr gemacht.
Meinst du Mensurstriche? Was wäre denn die Alternative bzw. wie wird es dann gemacht? Ich kenne auch in neuen Ausgaben diese Notation und durchgezogene Taktstriche und Haltebögen sind doch noch viel ferner vom historischen Vorbild. Bei Gould finde ich leider überhaupt nichts zum Thema ... aber daß es verschiedene Moden bei der Übertragung von Mensuralnotation gibt, läßt sich wohl nicht leugnen, z. B. bei Notendauern: Die einen nutzen historisch motiviert die originalen, langen Notenwerte (meistens Tactus = Semibrevis oder Brevis), die anderen in Anlehnung an neuere Musik um Faktor 2 oder 4 verkürzte (Tactus = Viertel oder als Kompromiß Halbe).

Ich finde es wichtig, als Musiker möglichst genau bescheid zu wissen, wie das Original aussieht. Im Zweifelsfall also Angaben zu Originaltonart, Schlüsseln und Notenwerten, Hinweise auf Ligaturen und Colorierung, Klarstellen von Mensurzeichen und Proportionen, ... Mensurstriche helfen dabei meiner Meinung nach sehr.

ingmar

Hallo Malte,


die Komponisten haben in ihren Partituren (bzw deren Vorläufern) bis mindestens 1650 Striche dort gezogen, wo es ihnen zur Übersicht sinnvoll erschien. An wilden Stellen nach 4/4, sonst auch nach 4/2 oder 3/1 oder seitenweise gar nicht. Das hat also mit heutigen Taktstrichen wenig zu tun. Die Einzelstimmen sind dann so gut wie immer ohne Taktstriche.

Später wurden Taktstriche üblich, aber erst Pisendel hat Probebuchstaben und Taktzählungen eingeführt. Heute sagt der Dirigent "in Takt 18 bitte piano", und die Spieler tragen das dann ein. Und er sagt "Jetzt nochmal ab Takt 68". Solche Vorgänge hat es in Renaissance und Barock definitiv nicht gegeben, also kein Proben im heutigen Sinne. Aber heute wollen wir die Möglichkeit haben, zu proben und über die Musik ganz im Detail zu sprechen.

Frage ist, wie man nun diese Musik heute notieren soll. Konsequenterweise würde man Mensuralnotation ohne Taktstriche verwenden (ich bin anfangs vor allem deshalb bei LilyPond geblieben, weil diese sehr gut funktioniert, gut lesbar ist und normalerweise kaum zusätzlichen Aufwand braucht). Aber man kann sie Musikern, die sie nicht gewohnt sind, natürlich nicht antun. Also übersetzen wir in heutige Schreibweise und verwenden möglichst lange Takte (meist 4/2-Takt), um ein wenig von dem Originalflair zu erhalten. Damit lässt sich meist gut arbeiten.

Unsere heutige Notationskonventionen stoßen hier also auf Musik, die anderen Regeln folgt, man muss einen Kompromiss finden. Eins der Probleme sind halt die Überbindungen. Denn musikalisch sind sie ja eben keine, d.h. keine Synkopen; daher möchte ich persönlich auch nicht, dass sie so aussehen. Richtig müsste man wohl ständig Taktwechsel schreiben, aber erstens wären die nicht für alle Musiker gleich und zweitens würden sie das Notenbild überladen und etwas wichtig erscheinen lassen, was so wichtig eben nicht ist.

Ich bin sehr froh, dass LilyPond gestattet, einfach die volle Länge der Note zu schreiben. Die Musiker gewöhnen sich auch ganz schnell daran. Dafür schieben Herausgeber dann auch schonmal einen 3/1-Takt ein, wenn mehrere aufeinanderfolgende Kadenzen auf die Taktmitte gehen; vor allem im vorletzten Takt, wenn es nötig ist. Denn eine der Konventionen moderner Notenschrift ist halt, dass deutliche Harmoniewechsel eher auf der Eins stattfinden, und besonders solche, die eine Auflösung implizieren, in welchem Sinne auch immer. Berücksichtigt man das nicht, wirkt es doch etwas ungelenk.

Eine amtliche Schreibweise gibt es hier definitiv bis heute nicht; wissenschaftliche Ausgaben (etwa Musica Britannica) verwenden lange Takte und, wo nötig ist, Überbindungen. Man kann dort über die Jahrzehnte und abhängig vom Herausgeber deutliche Unterschiede sehen. Mensurstriche sind tatsächlich völlig aus der Mode gekommen, obwohl die Idee ja gar nicht so schlecht ist.

Also, einen Tod muss man sterben, und bei jedem Stück, das ich notiere, suche ich wieder eine Lösung.

Dass aber meine Entscheidung für große, den Taktstrich überlappende Notenwerte bei LilyPond auf ein Verbot des Zeilenwechsels stößt, ist sehr schade, wenn auch nachvollziehbar. Das Thema ist für mein Gefühl etwas Ähnliches wie der Akzidenzien-Modus (sollen Vorzeichen auch in der Oktave gelten? Im Klaviersatz in einer anderen Stimme? usw). Da gibt es kein Richtig und Falsch. Nur eine lokale Vereinbarung, oft rein implizit, die man vorne im Header angibt.

Und so sollte es am besten auch mit der Bedeutung von Taktstrichen sein. Also entweder: Noten über den Taktstrich hinaus werden als Fehler behandelt. Oder wie heute: Sie werden erlaubt, verhindern aber Zeilenwechsel. Oder: Sie werden klaglos unterstützt. Aber vermutlich bin ich der einzige, der mit diesem Problem kämpft – und sich meldet.

--ingmar